Die Frage, ob alles im Universum vorherbestimmt ist, gehört zu den tiefgreifendsten und ältesten in der Philosophie und Physik. Lange Zeit galt der Determinismus – die Vorstellung, dass der Zustand des Universums zu einem bestimmten Zeitpunkt seine gesamte Vergangenheit und Zukunft eindeutig festlegt – als Triumph der klassischen Physik.

Doch mit dem Aufkommen der Quantenmechanik schien dieses Weltbild erschüttert. Weit verbreitet ist die Annahme, dass die quantenphysikalischen Unsicherheiten und die damit verbundene Zufälligkeit den Determinismus endgültig zu Fall gebracht haben.
Der US-Physiker Eddy Keming Chen und der verstorbene James Hartle (1933–2023) liefern jedoch entscheidende Beiträge zu einer alternativen Sichtweise, die diese übliche Erzählung in Frage stellt: Das quantenmechanische Universum könnte unter Umständen deterministischer sein als das klassische. Trotz aller offensichtlicher Ungewissheiten könnte die Quantenmechanik besser erklären, warum das Weltall so ist, wie es ist. Vielleicht konnte sich unser Kosmos nur auf diesem einen einzigen Pfad entwickeln, der zum heutigen Universum geführt hat.
Der klassische Determinismus: Newtons Triumph und Einsteins Zweifel
In der Physik bedeutet Determinismus, dass die gesamten Geschichte des Universums aus seinem Zustand zu einem bestimmten Zeitpunkt und den fundamentalen physikalischen Gesetzen rekonstruiert und seine künftige Entwicklung vollständig bestimmt werden kann.
Die Herrschaft der klassischen Gesetze
Dieser Standpunkt erreichte seinen Höhepunkt mit den präzisen Gleichungen der klassischen Physik, insbesondere den Bewegungsgesetzen von Isaac Newton. Nach diesen Gesetzen könnte ein hypothetisches Wesen, das die gegenwärtigen Orte und Impulse aller Teilchen kennt, im Prinzip alle Informationen über die Vergangenheit und Zukunft des Universums ermitteln. Ein Mangel an Wissen oder Rechenleistung wäre die einzige Einschränkung.
Diese Vorstellung deckt sich mit einem wissenschaftlichen Grundprinzip, das Gottfried Wilhelm Leibniz im „Satz vom zureichenden Grund“ formulierte: Es muss für alles eine Ursache geben. Jeder Zustand des Universums (bis auf den Anfangszustand) kann vollständig durch einen früheren Zustand erklärt werden. Der klassische Determinismus legt den „Zug des Universums“ auf ein einziges, festes Gleis fest.
Philosophische Kontroversen
Diese Vorhersage- und Erklärungskraft war in der Physik geschätzt, führte aber in anderen Bereichen, insbesondere der Philosophie, zu Kontroversen. Der Hauptkonflikt liegt im scheinbaren Ausschluss des freien Willens: Wenn unsere Handlungen lediglich die deterministische Summe von Teilcheninteraktionen sind, bleibt kein Raum für eine freie Entscheidung zwischen Option A und B. Die früheren Zustände des Universums hätten unsere Wahl bereits festgelegt. Dies wirft ethische Fragen bezüglich der Verantwortlichkeit für unsere Taten auf.
Sogar Albert Einstein, selbst Verfechter des Determinismus, wurde von grundlegenden Fragen umgetrieben, wie er dem Mathematiker Ernst Strauss gegenüber bemerkte:
»Was mich eigentlich interessiert, ist, ob Gott die Welt hätte anders machen können; das heißt, ob die Forderung der logischen Einfachheit überhaupt eine Freiheit lässt.«
Die quantenphysikalische Herausforderung
Der Determinismus schien am Beginn des 20. Jahrhunderts durch das seltsame Verhalten von Quantenobjekten, das die Quantenmechanik aufdeckte, fundamental erschüttert zu werden.
Der Zufall der Wellenfunktion
Die Gesetze der Quantenmechanik liefern für den Ausgang von Experimenten nur Wahrscheinlichkeiten. Das berühmte Gedankenexperiment von Erwin Schrödinger mit der Katze in der Kiste veranschaulicht dies: Das Schicksal der Katze ist mit einem zufälligen Quantenereignis (z. B. radioaktiver Zerfall) verknüpft. Solange das System nicht gemessen wird, beschreibt eine Wellenfunktion einen Überlagerungszustand von „Katze lebendig“ und „Katze tot“. Erst die Messung reduziert die Wellenfunktion zufällig auf einen der beiden Zustände.
Die Messung scheint hier eine fundamentale, nicht vorhersagbare Zufälligkeit einzuführen. Damit schien der klassische Determinismus, der eine eindeutige Vorhersage forderte, vom Podest gestoßen.
Die Unwägbarkeiten des klassischen Kosmos
Doch die Geschichte hat eine Wendung. Entwicklungen aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts legen nahe, dass das quantenmechanische Universum noch stärker deterministisch sein könnte als das klassische. Dies hat zwei Hauptgründe:
- Das Problem der unberechenbaren Unendlichkeiten: Die Gesetze von Newton erlauben theoretisch Situationen, in denen die Zukunft nicht vollständig aus der Vergangenheit abgeleitet werden kann. Ein klassisches Objekt könnte durch unbegrenzte Beschleunigung theoretisch in endlicher Zeit unendlich weit in den Raum entweichen (oder als sogenannte „Space Invaders“ aus der räumlichen Unendlichkeit zu uns vorstoßen). Solche Ereignisse wären kausal nicht mit dem bekannten Universum verbunden und könnten daher nicht vorhergesagt werden.
- Singularitäten in der Relativitätstheorie: Selbst die klassische Spezielle und Allgemeine Relativitätstheorie, die durch die Lichtgeschwindigkeit eine absolute Geschwindigkeitsgrenze einführen, werden durch unberechenbare Unendlichkeiten geplagt: sogenannte Singularitäten (z. B. in Schwarzen Löchern oder am Urknall). An diesen Punkten, wo die Raumzeit unendlich stark gekrümmt ist, brechen die Gesetze der Relativität zusammen. Alles Mögliche könnte aus ihnen herauskommen oder in ihnen verschwinden, was den Determinismus gefährdet.
Viele Physiker glauben, dass eine zukünftige Theorie der Quantengravitation diese Singularitäten beseitigen könnte – beispielsweise, indem der Urknall zu einem Urprall wird, der eine reibungslose Weiterentwicklung des Universums jenseits der Singularität ermöglicht. Solche Ansätze würden die Lücken in der Raumzeit glätten und den Determinismus wiederherstellen.
Der starke Determinismus und die Wellenfunktion des Universums
Der zweite und tiefer liegende Grund für einen möglichen Quantendeterminismus ist das Vermächtnis von James Hartle, der zusammen mit Stephen Hawking zu den Vorreitern der Quantenkosmologie gehörte, die die Quantentheorie auf das gesamte Universum anwendet.
Das Defizit des klassischen Determinismus
Im klassischen Kosmos gibt es eine Entscheidungsfreiheit bezüglich der Anfangsbedingungen. Selbst ein deterministisches Gesetz wie Newtons Mechanik trifft nur bedingte Aussagen: Wenn dies passiert, dann muss jenes geschehen. Es erklärt nicht, warum der Zug des Universums sich auf einem bestimmten Gleis befindet und nicht auf einem anderen – warum er von A über B nach C fährt und nicht von X über Y nach Z.
Dieser Mangel bedeutet, dass der klassische Determinismus Leibniz‘ Satz vom zureichenden Grund nicht vollständig erfüllt. Der Anfangszustand des Universums lässt sich durch nichts erklären, was ihm vorausging, da es keinen früheren Zustand gab. Die dynamischen Gleichungen allein können die Phänomene des Universums – seine Struktur, Galaxien, Sterne – nicht vorhersagen, da diese stark von den gewählten Anfangsbedingungen abhängen.
Starker Determinismus: Einzigartige Geschichte
Der englische Physiker Roger Penrose prägte hierfür den Begriff „starker Determinismus“. Dieser geht über die reine Bestimmung der Zukunft durch die Vergangenheit hinaus. Im starken Determinismus ist
»die gesamte Geschichte des Universums nach einem präzisen mathematischen Schema für alle Zeiten festgelegt«.
Ein Universum ist stark deterministisch, wenn seine grundlegenden physikalischen Gesetze eine einzigartige kosmische Geschichte vorschreiben. Gibt der einfache Determinismus eine Reihe paralleler Gleise vor, so gibt es beim starken Determinismus nur ein einziges Gleis, bei dem nicht einmal der Startpunkt frei wählbar ist.
Hartles und Hawkings grenzenloser Vorschlag
Die Herausforderung im Rahmen der klassischen Physik wäre, dass die Anfangsbedingungen eines so komplexen Universums ebenfalls extrem kompliziert sein müssten und ihre Beschreibung ein Gesetz von unmöglicher Komplexität erfordern würde.
Hartle und Hawking schlugen 1983 vor, dieses Problem mithilfe der Quantenmechanik zu lösen, indem sie eine einfache Startbedingung konstruieren, die die Komplexitäten des heutigen Universums als emergente Strukturen in einer Quantenüberlagerung enthält. Hierbei wird das Universum durch eine einzige, fundamentale Realität beschrieben: die Wellenfunktion des Universums.
Ihr Vorschlag einer grenzenlosen Wellenfunktion legt nahe, dass sich die Form des Universums in Richtung Vergangenheit sanft abrundet und zu einem einzigen Punkt schrumpft – es hat keinen Rand und keinen Anfang in einem klassischen Sinne. Wie Hawking formulierte:
»Die Randbedingungen des Universums müssen etwas ganz Besonderes an sich haben, und was könnte besonderer sein als die Bedingung, dass es keinen Rand gibt?«
Nach dieser Sichtweise hat das Quantenuniversum zwei Gesetze:
- Ein deterministisches Gesetz für die zeitliche Entwicklung (analog zur Schrödingergleichung).
- Ein Gesetz für die anfängliche Wellenfunktion.
Dies erfüllt die Kriterien des starken Determinismus: Die Gesetze lassen genau eine kosmische Geschichte zu, wenn auch eine, bei der die Wellenfunktion viele klassische Trajektorien (ähnlich der Viele-Welten-Interpretation von Hugh Everett) überlagert. Es gibt keine Zufälligkeit des Universums als Ganzes, und es gab keine alternative Möglichkeit, wie es hätte beginnen können. Jedes Ereignis ist durch die Gesetze erklärt und für alle Zeiten festgelegt. Die bekannten Quanten-Wahrscheinlichkeiten entstehen dabei erst als grobkörnige, partielle Beschreibungen von Teilen des Universums.
Die ultimative Theorie und die Konsequenzen
Obwohl der Hartle-Hawking-Vorschlag Schwächen aufweist (z. B. die mögliche Nichteindeutigkeit der Wellenfunktion), weist er den Weg zu einer Theorie mit stärkeren Vorhersagen und Erklärungen. Forschung zu den konzeptionellen Grundlagen der Quantenphysik – beispielsweise die Betrachtung von Dichteoperatoren anstelle von reinen Wellenfunktionen als umfassendere Beschreibung geschlossener Quantensysteme – könnte weitere Wege aufzeigen, den starken Determinismus zu implementieren.
Die endgültige Antwort auf die Frage nach dem Determinismus wird von der ultimativen Theorie abhängen, die Quantenphysik und Relativitätstheorie überbrückt. Diese Theorie liegt noch in weiter Ferne.
Sollte Hartle jedoch Recht behalten, dann nimmt die gängige Erzählung vom Aufstieg und Fall des Determinismus eine dramatische Wende. Das quantenmechanische Universum wäre dann – aus diesem bestimmten Blickwinkel – vorhersagbarer und besser erklärbar als seine klassische Version. Eine solche Perspektive hätte auch tiefgreifende Konsequenzen für unser Selbstbild, da es schwieriger würde, sich zur Verteidigung des freien Willens auf die Zufälligkeit der Quantentheorie zu berufen.
Wenn das Quantenuniversum stark deterministisch ist, dann gibt es keinen anderen Weg als den, auf dem es sich befindet. Warum aber alles gerade so ist, wie es ist, können uns nur die finalen Gesetze des Quantenkosmos verraten.
Ovidiu Bretan