Freimaurerei und gesellschaftliche Werte – Teil 1

Werte, freimaurerische Werte, gesellschaftliche Werte, politische Werte, religiöse Werte, interkulturelle Werte, Werte in der Erziehung, werteorientiertes Denken und Handeln – eigentlich alles bekannt. In den Jahrtausenden der bekannten Geistesgeschichte gab es wirklich niemanden, der zum Thema Werte nicht seinen Kommentar abgegeben hat.

Wilhelm Gerbert

Doch – was sind eigentlich Werte? Wo kommen sie her? Wer definiert sie? Und für wen gelten sie? Gibt es Werte, die für alle Menschen unabhängig von erlernter Kultur und individueller Weltanschauung gelten?

Beginnen wir mit einer kurzen Definition.

Wertvorstellungen oder kurz Werte bezeichnen im allgemeinen Sprachgebrauch Eigenschaften, die als erstrebenswert oder als moralisch gut betrachtet werden. Es geht um Eigenschaften und Qualitäten, um Objekte und Ideen, um praktische und sittliche Ideale, um Handlungsmuster oder Charaktereigenschaften. Doch wer legt fest, was gut und erstrebenswert ist? Die Religion? Die Gesellschaft? Der Einzelne? Der Zeitgeist oder gar ein Trend? Und was ist eigentlich gut? Wie definiert man „gut“?

Der Werte-Begriff erfährt beispielsweise in der Volkswirtschaftslehre, in der Betriebswirtschaft oder in der Finanzwirtschaft eine komplett andere inhaltliche Bedeutungszuweisung als in den Geisteswissenschaften.

Das Ziel ökonomischen Handelns ist es, eine höchstmögliche materielle betriebliche Wertschöpfung (= Gewinn) zu erzielen. In der Ethik geht es um das Schaffen ideeller Werte.

Vertreter einer Philosophie der Werte sind der Ansicht, dass die Wertfrage bereits seit den Anfängen des philosophischen Denkens gestellt wurden. So finden sich die Fragen nach Charakter und Seinsweise beispielsweise in der Nikomachischen Güterethik des Aristoteles. Die antike Güteethik aristotelischen Ursprungs wurde in der Theologie aufgegriffen und im Rahmen der Moraltheologie weitergeführt.

Die Bedeutung des Wertbegriffs verändert sich aber, je nachdem ob die Wertzuschreibung

  • von Einzelnen,
  • von sozialen Akteuren
  • oder von einer Gesellschaft erfolgt

und ob sie als

  • objektive Erkenntnis – wer auch immer das festlegt???
  • oder als subjektive Haltung verstanden wird.

Ein IS-Kämpfer, der basierend auf seiner Wertevorstellung sich selbst und andere tötet, handelt konsequent im Rahmen seiner Werte. Und ein US-Präsident, der mit Hilfe von Drohnen Menschen tötet, um in einer bestimmten Region sogenannte „Feinde der Demokratie“ oder „die Achse des Bösen“ zu eliminieren, handelt streng im Rahmen seiner Werte, wonach im 2. Fall der Wert „Dursetzung demokratischer Strukturen“ alle anderen Handlungen rechtfertigt.

Was ist also an Werten gut? Sind meine Werte besser als die Werte der Anderen?

Die Basis der jeweiligen Wertvorstellung liegt in der jeweiligen Gesellschaft. Sie ist historisch gewachsen und bedient sich fest definierter Autoritäten – politisch, gesellschaftlich, philosophisch oder religiös. Im Zusammenspiel der unterschiedlichen Werte bildet sich ein Wertesystem bzw. eine Werteordnung mit einer gewichteten Werte-Hierarchie.

Wird diese Werteordnung mit dem alleinigen Anspruch auf Wahrheit verknüpft wird sie zur Ideologie, die sich allen anderen Werteordnungen unterordnen muss.

Doch kommen wir zum Thema Moral.

Der deutsche Ausdruck „Moral“ geht auf das lateinische „moralis“ (die Sitte betreffend) zurück, und wird beispielsweise in dem von Cicero neugeprägten Ausdruck Philosophia Moralis verwendet.

Moral beschrieb ursprünglich wie Menschen faktisch handeln und welches Handeln in bestimmten Situationen erwartet bzw. für richtig gehalten wird.

Dieser rein deskriptive Bedeutungsaspekt einer Moral wird auch als Sittlichkeit oder Ethos bezeichnet. Er umfasst „regulierende Urteile und geregelte Verhaltensweisen“, ohne dass die rationale oder moraltheoretische Rechtfertigung derselben beurteilt oder bewertet wird.

Der im letzten Jahr verstorbene Biologe Hans Mohr, einer der Vertreter der biologischen Wissenschaftstheorie, stellte die These auf: „Wir brauchen moralisches Verhalten nicht zu lernen – es ist eine angeborene Disposition, die uns befähigt, das moralisch Richtige zu treffen.“

Schön wäre es. Die konkreten Moralvorstellungen eines Menschen sind kulturell geprägt. Sie äußern sich etwa in

  • der „goldenen Regel“ – Behandle andere so, wie du von ihnen behandelt werden willst,
  • in religiösen Handlungsvorschriften (etwa die Zehn Gebote im Christentum, die Fünf Silas im Buddhismus oder die Traumzeit-Mythologie der australischen Aborigines)
  • aber auch in den Rechtsnormen der Staaten.

Das Interessante an der goldenen Regel ist der Perspektivenwechsel. Sie macht das Sich-Hineinversetzen in die Lage Betroffener zum Kriterium für moralisches Handeln. Das gilt als Schritt zu ethischer Eigenverantwortungmit der Möglichkeit zur Selbstkorrektur.

Die goldene Regel enthält aber keine inhaltliche Norm für richtiges oder falsches Verhalten. Dies gilt gleichermaßen für den kategorischen Imperativ eines Emanuel Kant.

Ist es sinnvoll, wenn die eigene Wertevorstellung zum bestimmenden Faktor des Handelns wird? Die Konsequenzen sehen wir tagtäglich in den Nachrichten.

Die Entscheidungen über Werte sind konstitutive Elemente einer Kultur. Sie dienen der Definition und Identifikation mit einem Sozialsystem, einer Gruppe oder einer Gesellschaft.

Umgekehrt ist die Kultur das Medium, in dem Wertvorstellungen weitergegeben und verändert werden können, entweder durch direkte Vermittlung von Wertentscheidungen (z.B. Erziehung), durch Gewohnheiten, Bräuche etc.

Modern ist ja gerade das Thema Integration, also die Anpassung von Menschen aus einem anderen Wertesystem an das lokal bestehende.

Der vor zwei Jahren verstorbene polnische Philosoph, Logiker und Mönch Bochenski unterschied 1959 drei Gruppen immaterieller Werte, die man durch sein Verhalten verwirklichen kann: die moralischen, die ästhetischen und die religiösen.

  • Die moralischen Werte sind Forderung zur Tat; sie enthalten das Tun-Sollen.
  • Die ästhetischen Werte enthalten das Sein-Sollen.
  • Die religiösen Werte als Verbindung moralischer und ästhetischer Werte berücksichtigen auch das Nicht-Sein-Sollen und das Nicht-Tun-Sollen und geben es in Form der Sünde an.

In der jüngeren Diskussion sind die Versuche, Werte ontologisch oder anthropologisch zu begründen, stark in die Kritik geraten. So argumentiert der Freiburger Philosoph Andreas Urs im Sommer 2016: „Werte sind „regulative Fiktionen“, die je nach den individuellen und sozialen Bedürfnissen immer wieder umgestaltet werden. Die Vorstellungen ewiger, für sich bestehender Werte weist Urs zurück, ohne jedoch einen Werteverfall zu diagnostizieren. Werte seien notwendig und begrüßenswert. Kurzum – Werte nützendem gesellschaftlichen Zusammenhalt und der individuellen Identität.

Ein mit der Kultur vermittelter Wert dient als Richtlinie für den Menschen zum Verständnis bzw. zur Erkenntnis der Welt und wird infolgedessen bei der Planung des Verhaltens zur Prämisse. Werte geben Dingen oder Menschen eigene Bezugspunkte und wirken somit sowohl anziehend als auch abstoßend.

Es geht also um das Konstrukt einer Individuum-Welt-Beziehung. Dabei wird der Wert entweder als Komplex von Wirkungsfaktoren der Welt auf das Lebewesen wahrgenommen oder als Konzept des Individuums zur Gestaltung der Welt verwendet.

Der Psychoanalytiker Victor E. Frankl bezeichnete in diesem Zusammenhang Werte als Basis für eine umfassende Sinnmöglichkeit. Das bedeutet, Werte dienen der gesellschaftlichen und individuellen Motivation.

Aus Werten lassen sich soziale Normen, also konkrete Vorschriften für das Handeln ableiten. Und hier liegt eine der Quellen des Konflikts. Werte und die daraus resultierenden Handlungs-Vorschriften wandeln sich im Laufe der Zeit. Die Ursachen für den Wertewandel sind vielfältig (veränderte Umweltbedingungen, Konflikthaltung gegenüber anderen Generationen usw.). Betrachtet man Werte abstrakt für sich, so treten sie in konkreten Situationen miteinander in Konflikt. Es ist dann nicht möglich, sich so zu verhalten, dass man allen Werten gleichzeitig gerecht wird.
 

So steht beispielsweise der Wert des Wohlstands im Konflikt mit dem Wert der Nachhaltigkeit oder der Wert der individuellen Freiheit mit anderen Werten, etwa der Gleichheit.

Wilhelm Gerbert

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